Per Gesetz gegen Magersucht

26.10.2013 10:37

Magersüchtigen Blogerinnen droht jetzt in Frankreich eine Strafe von bis zu 30.000 Euro - oder, wenn es hart kommt, bis zu zwei Jahre Haft: Das sieht ein neues Gesetz vor, dass die Anstiftung zur Magesucht unter Strafe stellen soll. Betroffene reagieren auf "Pro-Ana"-Seiten im Internet mit blanker Wut. (Von Astrid Mayer, Paris)

 

 

Das neue Gesetz wendet sich gegen die positive Darstellung von Anorexie im Web, also gegen die zahlreichen Blogs und Foren, die das Ideal der Magerkeit preisen. "Pro-Ana" heißen diese Seiten, "Ana" steht für Anorexia nervosa: Magersucht. Im Internet tauschen sich die Betroffenen zwar auch über ihr Elend aus, doch vor allem geben sich Magersüchtige Tipps, wie man noch mehr Gewicht verliert und disziplinierter hungert. Gegen diese Seiten will die französische Regierung jetzt vorgehen.

Der Gesetzesvorschlag - der Senat wird ihn aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls bald absegnen - wird ergänzt durch eine Charta, in der sich Modemacher und Medien verpflichten, Untergewichtigkeit nicht mehr zu glorifizieren. Models müssen sich regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen unterziehen. Toleranz und Respekt Die von Magersucht Betroffenen - meist sind es Mädchen oder junge Frauen - fühlen sich durch das Gesetz unverstanden und diskriminiert: "Gegen die Pro-Anas zu sein bedeutet, dass man kranke Menschen nicht mag", schreibt beispielsweise "Sanddüne". "Man zeigt mit dem Finger auf ein Opfer, das sich schon erdrückt fühlt durch sein Gewicht, sein Bild, seinen Geist". Die Mädchen, die Blogs mit Titeln wie "Mein Kampf gegen das Fett" führen, verlangen Toleranz und Respekt.

Toleranz, die in Frankreich zu Ende sein soll: "Hier hört die Meinungsfreiheit auf", sagt Gesundheitsministerin Roselyne Bachelot. Das neue Gesetz ist orientiert an einem Gesetz, das die Unterstützung beim Selbstmord sowie die Aufstachelung dazu unter Strafe stellt. Es bleibt allerdings die Frage, welche "Pro-Ana"-Blogs dieses Kriterium erfüllen.

Der Pariser Psychiater Jean-Pierre Benoit, der magersüchtige Jugendliche behandelt, sieht einen positiven Effekt des Gesetzes: "Es wird Grenzen setzen, wenn auch Indirekte". Kollegen bewerten das anders: Anorexie sei eine Krankheit, die nicht durch Nachahmung entstehe, sondern komplexe und individuell verschiedene Ursachen habe. Das Krankheitsbild existierte schon lange bevor Medien das Bild erfolgreicher, dünner Menschen propagierten.

Anti-Pro-Ana-Blogs

Der Modemacher Jean-Pierre Gaultier bringt seine Kritik an dem Gesetz so auf den Punkt: "Diese Art von Problemen löst man nicht mit Gesetzen, sondern mit Verständnis". Beim Lesen der Blog-Einträge fällt denn auch eines besonders auf: "Ana" - die Krankheit - wird oft dargestellt als die einzige Freundin in einer erdrückenden Lebenssituation; die Kontrolle über das eigene Gewicht ist der einzige Halt. Wie tyrannisch diese Freundin ist, kommt ebenfalls zum Ausdruck. Diesen Halt wollen sich viele Betroffene nicht durch Eltern, Psychiater oder andere Ärzte wegnehmen lassen, und mit Gewalt schon gar nicht.

Die großen Gewinner der Ana-Blog-Mania sind zweifellos die Anbieter, die die Blogs beherbergen und Hilfe beim Erstellen anbieten. Oftmals sind die Links vom einen zum nächsten Ana-Blog tot - Zeichen dafür, dass die Passion, sich im Netz darzustellen oft nicht lange anhält. Dafür hat sich auch im Netz Widerstand gegen die gnadenlosen Tipps und Aufstachelungen der Pro-Ana-Sites gebildet: Die "Anti-Pro-Ana"-Blogs. Ein "Ana-Friedhof" beispielsweise, in dem symbolische Grabsteine für diejenigen zu sehen sind, die an der Krankheit gestorben sind. Anorexie führt bei zehn Prozent der Betroffenen zum Tod.

(Quelle: www.stern.de)